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Sammlung von Primärquellen
 

Deutsche Einwanderung in Australien - Materialien für Schüler/Studenten

1982 - „DER SPIEGEL“

In den 1980ern gab es großes Interesse in Deutschland für die Auswanderung nach Australien.

Auszüge aus einer 3-teiligen Serie im Magazin DER SPIEGEL
(Extracts from a 3-part series in DER SPIEGEL magazine)


Kontinent der Träume

Über 120 000 Deutsche haben sich 1981 bei der australischen Botschaft in Bonn nach den Möglichkeiten einer Einwanderung in Australien erkundigt. Rund 33 000 stellten Anträge, doch nur 4043 wurden von den sorgfältig auswählenden australischen Behörden schließlich in das Land gelassen (fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor). Für dieses Jahr wird ein Anstieg auf 5000 erwartet.

Australien, „The Lucky Country“, hat es besser, hat keinen Iwan vor der Tür (= die sowjetische Armee ist nicht in der Nähe, anders als in Europa – Website-Redakteur) und viel Bauxit, hat jede Menge Kohle, Kupfer, Eisenerz, ist auch in Sachen Petroleum zu 60 Prozent Selbstversorger und braucht sich um die Zukunft nicht zu grämen.

So jedenfalls versichern es sich gegenseitig die vielen Spezial-Touristen aus der Bundesrepublik, Reisende auf Erkundungsflug. (= anders als deutsche Einwanderer in früheren Zeiten, konnten Deutsche in den 1980ern erstmal mit dem Flugzeug nach Australien kommen und Urlaub machen. So konnten sie zuerst etwas über das Land herausfinden, und sehen, ob sie hier leben möchten, bevor sie einen Antrag auf Einwanderung stellten.)
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Und der eine oder andere schaut dann auch bei Pastor Wolfgang Wiedemann herein, zwecks Auskunft über das unbekannte Land und Ratschlag für das künftige Leben in der Fremde.

Der junge Pfarrer kann das alles nicht recht fassen: In den drei Jahren, die er nun schon der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche Sydney dient, hat er noch nie so viele Zuzugs-Aspiranten erlebt wie im Jahr 1981, noch nie einen solchen Schwall von Briefen aus Deutschland, in denen Leute „teilweise recht panisch“ Einwanderungsberatung von ihm erbaten, und er fragt sich besorgt: „Was ist da drüben bloß los?“

Sie träumen von einem Fleckchen Erde irgendwo weit weg aus dem Mittelstrecken-Radius von Pershing 2 und SS-20 (= russische Atom-Raketen). Von einem fernen Reich des Friedens und der Freiheit träumen sie und einem besseren Dasein für die Kinder - denn wenn's zum Schlimmsten kommt, dann spielt sich doch alles in Deutschland ab, hier bei uns, auf unserem Boden.

Seit den blutigen Geschichten im Iran (= Revolution im Jahre 1979 und extrem-konservative Priester als Regierungsführer) und dem afghanischen Kriegszug der Sowjet-Armee (= Invasion in Afghanistan im Jahre 1979) registrieren die deutschen Auswanderer-Beratungsstellen einen „sprunghaft ansteigenden Trend der Auswanderungsbereitschaft“, den die Polen-Krise (= gefährliche Konfrontation zwischen der Gewerkschaftsorganisation „Solidarität“ und der kommunistischen Regierung) inzwischen noch drastisch verstärkt hat.

Iran, Afghanistan und Polen aber sind für Gerhard Storbeck, der seit 20 Jahren in Bremen Emigranten berät, nur letzte Auslöser einer Aufbruchsstimmung, die sich von noch so vielem anderen nährt, von Missmut, Groll und großem Unbehagen auch am Vaterland (= Unsicherheit über das Leben in Deutschland).

„Die Leute“, sagte Storbeck, „kommen mit allen möglichen Motiven, aus allen Altersgruppen, allen Schichten, Berufen und politischen Richtungen zu mir - Konservative wie Linke (= Leute mit sozialistischen politischen Ideen) und Grüne (= Anhänger der politischen Partei „Die Grünen“), Maurer, Klempner, Kesselschmiede, Feinmechaniker, Monteure, Glaser, Ärzte, Polizisten, Postbeamte, Kürschner (= Pelzhändler), Kaufleute, Maschinenschlosser, Schweißer, Elektriker, Lagerarbeiter, Zahntechniker, Fernmeldetechniker, Dolmetscherinnen und Krankenschwestern, viele Lehrer vor allem und Handwerksmeister.“

Sie alle wollen fort, obwohl es ihnen hierzulande so schlecht eigentlich gar nicht geht. Was sie treibt, das sind ja nicht Hungersnot, soziale Drangsal, Unterdrückung und Verfolgung wie damals im 19ten Jahrhundert, als die Stiefkinder Deutschlands in Millionen-Schüben aufbrachen ins gelobte Amerika.

Was sie suchen, ist ein Platz an der Sonne, sie wollen einfach raus: aus der allgemeinen Lust- und Rat- und Orientierungslosigkeit, dem Katzenjammer einer Wirtschaftsflaute, deren Ende kein Mensch mehr zu prophezeien wagt, der Bevormundung durch einen Wohlfahrtsstaat, in dem sie sich nicht mehr wohl fühlen (= sie denken, dass die deutsche Regierung zu viel Kontrolle in ihrem Leben hat). Mehr Selbständigkeit wollen sie, mehr Weite, mehr Lebensqualität in einer erfreulicheren Umwelt mit einem freundlicheren Klima.

„Wir haben zwar materiell alles, sind aber trotzdem mit der Wohlstandsentwicklung unzufrieden. Unser Ziel ist es, einfacher zu leben, verbunden mit mehr Menschlichkeit und Zeit für uns und andere.“

„Ich sehe weder für mich noch für meine Kinder eine Chance, in Deutschland einen Handwerksbetrieb zu gründen, meine Persönlichkeit frei entfalten zu können und weiterzukommen. Steuern, Gesetze, Bürokratie, Stress und Enge erzwingen die einzige Alternative: Auswandern.“

So schreiben sie, junge Ehepaare und Familienväter im gesetzten Alter, an Beratungsstellen wie das katholische Raphaels-Werk, wenn sie Zuspruch und Beistand erbitten zur Verwirklichung ihres Traums vom besseren Dasein in der Ferne, sei es in Kanada, den USA, Brasilien, Südafrika, Neuseeland oder gar dem pazifischen Inselreich Tonga – oder eben in Australien. dem Hauptziel deutschen Fortwanderdrangs.

Doch dies ist ein Traum. der für die meisten unerfüllt bleiben muss. Denn wohin die Sehnsucht auch schweift, überall sind die Grenzen ziemlich dicht, und auch für Australien sind die Zeiten, da es so gut wie jeden aufnahm im großen Menschenzustrom der ersten Nachkriegsjahrzehnte, endgültig vorbei.

Die Punkteliste. nach der Barry Brogan in seiner Immigrationsabteilung (von der australischen Botschaft) siebt. fordert strikte Auslese: 22 000 Antragsteller samt Familien waren es im Finanzjahr 1980/81, die hinüberwollten, etwas mehr als 3000 durften gehen. Im laufenden Jahr, so schätzt Brogan, werden es an die 5000 Erwählte sein, aus einer Bewerberzahl, die sich inzwischen noch drastisch erhöht hat.

5000 werden es sein, von denen sich Australien, gemäß Qualifikations-Katalog, „einen Gewinn“ verspricht: Facharbeiter mit Mangelberuf und möglichst etwas Kapital; Geschäftsleute, die „ein solides Unternehmen gründen“ und damit Arbeitsplätze schaffen wollen; oder doch zumindest „Personen im Ruhestand, die gänzlich und für immer unabhängig sind“ - Menschen jedenfalls, die nicht beitragen zum Problem Erwerbslosigkeit. von dem auch Australien nicht verschont ist.

(Ingrid und Reinhard Neumann aus Hamburg waren fast 50 Jahre alt, und ihre Kinder wohnten nicht mehr zu Hause. Ingrid und Reinhard wanderten nach Australien aus.) Vor neun Wochen waren die Neumanns in Sydney angekommen, sie hatten sich gleich einen Wagen zugelegt und die Vororte abgeklappert (= sie hatten viele Vororte besucht), und inzwischen war nun auch schon der 90 000-Dollar-Bungalow finanziert, mitsamt Garten, Swimmingpool und Doppelgarage, den sie in Georges Hall gefunden hatten.

(Ingrid Neumann sagte, dass sie und Reinhard nicht gleich einen Job finden müssen; sie können warten, bis Reinhards Englisch besser wird.)
„Und das ist es ja gerade“, sagte Pastor Wiedemann, als wir in der Abenddämmerung weiterfuhren. „Für so was haben die alten deutschen Einwanderer (= aus den 1950ern und 1960ern) überhaupt kein Verständnis. Sie können nicht begreifen, was da passiert, und würden denen liebend gern einen Arbeitsplatz beschaffen.“

Denn als sie damals von Bord gingen, vor 20, 30 Jahren, arme Schlucker allesamt im großen Schiffstransport aus Nachkriegs-Europa, da krempelten sie am nächsten Tag die Ärmel hoch und fingen an zu schuften. Und jetzt stiegen plötzlich diese Neuen aus dem Jumbo, mit 10 000 Dollar Taschengeld für den Anfang, und bezogen Quartier im Wohnheim, machten ihren kostenlosen Sprachkurs und sagten: Nun mal langsam; bevor wir uns ins Zeug legen (= bevor wir die Arbeit beginnen), schauen wir uns die Sache erst einmal an.

„Ich stelle es in meiner Gemeinde immer wieder fest“, sagte Pastor Wiedemann, „dass es nicht gelingt, die Neuankömmlinge mit den Alten zusammenzubringen. Da gibt es keinerlei Verbindung. Die sind wie Hund und Katz.“

Der Pastor blickte nach drei Jahren Seelsorge für die Landsleute in Australien auf vielerlei Jammer zurück. Denn die Leute, die bei ihm Trost suchten, waren nicht die Tüchtigen, Erfolgreichen, die sich mit Energie und deutschem Fleiß emporgearbeitet hatten und so völlig integriert fühlten in die australische Gesellschaft.

Es waren die Problemfälle, die Kranken und Gebrechlichen, die Enttäuschten, Vereinsamten, Angeknacksten, die Wanderer zwischen zwei Welten mit der verklärten Heimat im Herzen.

„Dass man als Deutscher hier genauso Ausländer ist wie als Türke in Deutschland - darüber vor allem sollte jeder sich im klaren sein, bevor er aufbricht ins Risiko“, sagte Pfarrer Wiedemann, er war kein Freund von Illusionen.

Aber er kannte eben auch das andere Sydney nicht, in dem es sich so überaus angenehm leben ließ, wie zum Beispiel im schönen Haus von Hannes Laubinger, am Hang von Balgowlah Heights mit Blick auf den Hafen.

Laubinger war Direktor einer Speditions-Filiale, vor zehn Jahren hatte er mit ihrem Aufbau begonnen, aus dem Nichts. Doch das, meinte er, sei ja das Fabelhafte an den Australiern: „dass sie ganz anders als die Deutschen, so ungemein aufgeschlossen und hilfsbereit sind, wenn einer etwas Neues versuchen will. ‚Give him a fair chance‘, sagen sie, ‚give it a try‘, probier's doch einfach mal aus.“

Nichts gegen die Aussies, sagte Laubinger, während wir mit Ehefrau Pat, selber Aussie, das Leben im Wohlstand genossen: Hier herrschte, trotz allem, noch immer ein bisschen vom egalitären Pioniergeist, der alten Schafscherer- und Goldgräber-Kumpanei, „Australian mateship“ genannt, und er fühlte sich wohl unter diesen unverbesserlichen Optimisten, denen unsere teutonische Arbeitswut und Grübelei so erfreulich fremd war, dass sie sich, bei durchschnittlich 342 Sonnentagen im Jahr, ihrem Freizeit-Hobby hingaben, ihrem Müßiggang, dem Segeln und Surfen, dem Bierkonsum, dem Wetten auf die Pferdchen. „In diesem Land“, sagte Hannes Laubinger, „kann man noch etwas aufbauen, auch heute noch.“

Helmut und Christel Benthien jedenfalls - und die Teenager Sabine und Gabi nicht minder - fanden Canberras verschlafene Gangart ganz angenehm.

Weil sie eines Tages - schon Monate vorm afghanischen Krieg - genug hatten von Krisengerede und Terrorismus und „diesem unaufhörlichen Konglomerat schlimmer Nachrichten aus Politik und Wirtschaft“, weil „sich die bundesrepublikanische Wohlstandsgesellschaft doch offensichtlich auf absteigendem Ast“ befand und weil es überdies nicht schaden konnte, „mal für eine Weile rauszugehen und den Horizont zu erweitern“, deshalb hatten sie sich nach Australien abgesetzt, weit weg vom Schuss (= weg von Gefahr und von Hektik). Und ganz ehrlich: Sie lebten hier „um keinen Deut schlechter als in Bundesdeutschland“. eher besser.

Die Benthiens konnten wirklich nicht klagen. Sie kamen „vom Standard her“ und auch sonst „richtig prima zurecht“ in der neuen Heimat - obwohl man sich natürlich an so manches Exotische erst noch gewöhnen musste: an die Sonne zum Beispiel, die komischerweise mittags im Norden stand; oder an die stundenlangen Kricketübertragungen im Fernsehen, „und man sitzt ratlos davor, weil man die Spielregeln nicht kennt“.

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Mit freundlicher Genehmigung des SPIEGEL-Verlags – aus SPIEGEL 18/1982, Seite 170 ff. & SPIEGEL 19/1982, Seite 174 ff. © SPIEGEL-Verlag 1982



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