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Sammlung von Primärquellen
 

Deutsche Einwanderung in Australien - Materialien für Schüler/Studenten

1955 - ELLEN LEEGEL

Das Leben auf einem Auswanderungsschiff

Auszüge aus einem Brief - diesen Brief schrieb Ellen Leegel (18 Jahre alt) an ihre Eltern, ihre Schwester Inge, und ihren Schwager Bruno (die Hasen), am 21. September 1955 kurz nach der Abfahrt von Bremen und Cuxhaven auf der Castel Felice nach Melbourne. (Später sollten ihre Eltern auch nach Australien reisen.)


22. September 1955 Liebe Mutsch, lieber Väti, liebe Hasen! Nun bin ich schon 16 Stunden auf der großartigen „CASTEL FELICE“. Das Schiff ist ein kleines Wunderwerk. Es gibt hier alles, was sich das verwöhnteste Herz nur denken kann: Schwimmbassin, Tanzsaal (erstklassische italienische Tanzkapelle), Tagesräume, 6 Bars u.s.w. Ess-Säle gibt es im A - und im B-Deck. Ich habe in keinem Hotel, das ich bisher besucht habe, eine luxuriösere Einrichtung der Speisesäle gesehen, als sie hier besteht: kleine runde Tische mit 4 Polsterstühlen, die angeschraubt sind. Wer lange Beine hat, wie zum Beispiel, Du Väti, wird Mühe haben, sie irgendwo seitlich zu verstauen. Da ich gerade vom Speisesaal rede, kann ich gleich noch aufzählen, was es gestern abend zu futtern gab. Erstens, Suppe, dann pork, weiter 3 Scheiben Kartoffel u. verschiedene Salatsorten, danach ein Stück Torte und zuletzt Kaffee und einen Apfel. Da braucht Ihr Euch also das Kaffeetrinken nach dem Essen nicht abzugewöhnen!

Heute morgen servierte man uns so ungefähr von 3 Eiern Rührei und Speck (mehrere Scheiben). Dazu konnte man noch Weißbrot und einen Teller Milchsuppe zu sich nehmen. Wenn mein lieber Magen die folgenden Mahlzeiten immer gut verdauen wird - ich traue ihm allerdings nicht ganz - werde ich einen unansehnlichen Umfang am Ende der Fahrt haben.

Noch etwas von der nahen Vergangenheit: Gestern um halb drei verließ ich mit dem letzten Schub das Lager Bremen Lesum. Ein Bus brachte uns zum Bahnhof Vegesack, und von dort führte uns der Zug nach Cuxhaven. Da es nicht erlaubt war, den Zug zu verlassen und sehr viele Menschen ihren Angehörigen im Zug ihr letztes „Lebe Wohl“ u.s.w. zuflüstern wollten, brach eine Epidemie von verrenkten Umarmungen aus. Dann endlich!! durften wir aussteigen, und nachdem wir unsere Schiffskarten vorgezeigt hatten, wurden wir durch eine große Halle geschleust und erblickten dann am Ausgang der Halle die „Castel Felice“. Ich war von der Größe des Schiffskörpers richtig benommen, aber ehe ich es ganz von außen bewundern konnte, wurde ich schon in das Innere des schwimmenden Riesen geschoben. Italiener begrüßten uns und zeigten uns den Weg zu unseren Kabinen. Durch steile Treppen und lange schmale Gänge ging es immer tiefer und tiefer. „Do you know ponte C numero 13 Mr.?“, fragte ich mindestens 6x die italienischen Gestalten, die sich überall in den Gängen und auf den Treppen herumtrieben. Meistens malte ich ein C und eine 13 an die Wand, damit sie wussten, was ich suche. Zu meinem größten Erstaunen hatten nicht alle Besatzungsleute, die ich fragte, eine Ahnung wo die einzelnen Kabinen lagen. Na, ich fand schon bin. 20 Betten!!, kein Schrank, über den Betten Rohre und andere Unebenheiten. Ich erwischte ein Bett in der Nähe des Bullauges und kletterte mit Hilfe einer Leiter auf ein Oberbett. Obwohl der „Schlafsaal“ eng ist, kann man ihn doch nicht ganz verdammen, da er hübsch angestrichen ist, und die Betten sehr gute Matratzen aufweisen. Rohre und Haken dienen als Kleiderschrank. Schon jetzt kann ich mein Bett vor heranterhängenden Klamotten kaum finden. Naja, es ist eine Kleinigkeit, die nicht ganz befriedigt. Egal. (Auch zittert mein Bett ein wenig, da unter mir eine Maschine läuft).

Da es eine große Menge anderer Herrlichkeiten gibt und ich außer meiner Schlafgelegenheit absolut nichts zu bemangeln habe, fällt diese Sache gar nicht ins Gewicht. Amen. Manche Ehepaare haben eine Kabine im A Deck erwischt, die ganz süß eingerichtet sind. Schrank, 2 Betten, kleiner Tisch mit 2 Sesselstühlen, kleines Fenster mit demgleichen Stoff für Gardinen, der auf den Betten als Bettdecke wiederzufinden ist. Fußboden dunkelgrün angestrichen, Decke und Wände hellgrün. Hoffentlich kriegt ihr solche nette Kabine.

Weiter aber. Um 6:00 Uhr sollte die „Castel Felice“ den Hafen verlassen. Als es 9:00 war, schob sie sich dann endlich von der Hafenmauer los. Unzählige Menschen winkten und brüllten. Ein Blasorchester spielte Märsche und Abschiedslieder. Zuletzt wiederholten sie die Lieder...„Muss i denn...“ und „Auf Wiedersehen“ so oft, dass man die Musik nicht mehr verdauen konnte. Hupentöne von entfernt liegenden Dampfern erreichten die C.F. als letzter Abschiedsgruß von Deutschland. Bald erblickte man in der Ferne nur noch ein paar Leuchtpunkte von Cuxhaven, und ein wenig später gab es nur noch Wasser, Wasser um die C.F. Momentan befindet sich das Schiff zwischen Calais und Dover. Die See ist ruhig. Gehe jetzt zum Speisesaal. Bis nachher.

24. September, 1955
Aus „nachher“ wurden 2 Tage. Um mich herum liegen „Wasserleichen“. Es spritzt im hohen Bogen über die Reling, der Wind trägt die Kotze an meinem Gesicht vorüber - weiter. Ja, seit 2 Tagen schaukelt unsere C.F. mächtig. Erst sinkt sie nach vorn, dann nach der einen Seite, dann nach hinten, und zuletzt wieder zur Seite. (Ihr müsst unbedingt zum Rummel gehen und in ein Riesenrad oder in ein Karussell (?) steigen. Die Gefühle, die dabei verursacht werden, sind ungefähr die gleichen, wie Ihr sie auf dem Schiff erleben werdet. Härtet Euch ab!!). Mir geht es verhältnissmäßig gut. 3x musste ich herzhaft aufstossen (milde ausgedrückt) und danach gab mein Magen Ruhe. Von sich gegeben hat er also noch nichts, Allerdings weigert er sich heftig alles zu verspeisen, was ihm bei den Mahlzeiten vorgesetzt wird. Suppen verachtet er, dafür verlangt er dann mehr nach biscuits, other cake, fruits too.

Mir wurde in Berlin gesagt, dass die Besatzung, deutsch sei. Stimmt nicht. Nur Italiener. Italienische Küche also auch. Suche mir jetzt einen Platz, an dem ich alleine sein kann. - Jetzt habe ich einen „windigen“ Platz am Schwanz des Schiffes gefunden. Ich lehne mich mit meinem Rücken an die Schiffswand und lasse meine Beine durch ein zaunartiges Gitter hängen. Wenn meine Beine 4m lang, wären, würden sie das Wasser berühren. Hoffentlich werden sie nicht durch einen „Maulregen“ beschmutzt. Hier gefällt es mir jedenfalls gut. Eine stürmische See, darüber ein blaugrauer Himmel. Mir ist dieses Bild noch nicht langweilig geworden. Oft wird dieses Bild durch Auftauchen von gewaltigen Fischkörpern belebt.

Wollt Ihr wissen, was ich bis jetzt getan habe? Bis 9:00 oder später geschlafen, danach „breakfast“ zu mir genommen, dann, je nach Lust und Laune Tennis gespielt, gelesen und auf dem Schiff herumgebummelt. Am liebsten sitze ich abends alleine auf dem Deck und starre ins Wasser. Das Schaukeln des Schiffes nehme ich als eine gewöhnliche Sache hin.

30. September '55.
Liebe Eltern, liebe Hasen! Am 28. landeten wir in Malta. Leider durften die Passagiere das Schiff nicht verlassen. Folgendes sah man in Malta: einen gewaltigen Hafen, hellgelbe, flachdachige, hohe Häuser, die sich vom Bergfuss bis zur Bergspitze hinziehen. Dazwischen Kirchen mit Zwiebeldächern. Da wir um 6:00 morgens Malta anliefen und die Sonne gerade aufgegangen war ... mir fehlen tatsächlich die Worte, um Euch zu beschreiben welch ein Bild sich dem Auge bot. Ihr müsst unbedingt einen Fotoapparat mit Farbfilm mitnehmen. - Morgen erreicht die Castel Felice Port Said, und ich freue mich sehr darauf, wieder einmal auf Land gehen zu können. In Port Said werde ich mir ein Paar leichte Sandalen kaufen, die man hier auf dem Schiff ganz dringend benötigt. - Meine roten Schuhe sind bei 30 - 35 Grad unerträglich. (Wasser 27 Grad) Barfuss kann ich auf dem heißen Holzfußboden auch nicht gehen. Vergesst Ihr also auf keinen Fall, Euch ganz leichte Sandalen, auch bequeme Hosen und Pullover mitzunehmen. Kleider sind an Deck unangebracht, da sie erstens zu heiß, und zweitens viel zu schnell schmutzig werden. Allerdings darf man nicht in Hosen den Speisesaal betreten.

In Malta kamen noch 200 schwarzhaarige Maltanesen (Maltesen) auf unser Schiff, und zusammen mit der italienischen Besatzung üben diese auf manche Frauen gewaltige Anziehungskraft aus. Auf dem Deck abends, ist jeder Liegestuhl von übermutigen Pärchen besetzt...

Nun seid alle recht herzlich gegrüßt und macht Euch keine Sorgen, denn das Schiffsleben bekommt mir wunderbar. Good-buye, (Good-bye) Eure Ellen. (Gibt hier auf dem Schiff Englischkurse, braucht also vorher nichts zu lernen)


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