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Deutsche Einwanderung in Australien - Materialien für Schüler/Studenten

1955 - ELLEN LEEGEL

Ellen wandert auf der Castel Felice nach Melbourne aus...

Folgender Text freundlicherwise von Ellen für diese Website geschrieben
(The following text kindly written by Ellen for this website)


Ich war 18 Jahre alt und wollte weg

Ich hatte ein großes Verlangen, andere Welten kennenzulernen, meine Schulfächer an der höheren Handelsschule in Berlin ließen mich kalt, mein Basketball-Trainer hatte mich aus der Berliner Frauenmannschaft herausgeworfen, und ich hatte einen Bruder in Melbourne. Ich war 18 Jahre alt, unternehmunglustig und hatte die Gelegenheit, für ganz wenig Geld vom australischen Staat unterstützt nach Australien auszuwandern.

Sieben Bücher nahm ich zuletzt mit, einige waren wegen der strengen Zensur in Australien nicht erlaubt. Eine andere Liste bezeichnete all die übrigen meiner Sachen, die in einer schönen von meinem Vater gebauten Kiste untergebracht waren. Die Listen habe ich noch. Und die Kiste, jetzt voller Kinderbücher, natürlich auch.

Ein Schiff, namens 'Castel Felice' brachte mich zusammen mit 500 anderen jungen Mädchen nach Melbourne. Es waren viele Dienstmädchen, aber auch Sekretärinnen und Krankenschwestern darunter. Unter dem Mangel von Männern, die hauptsächlich in Malta dazustiegen, war die Auswahl an 'Freunden' sehr beschränkt, und es gab andauernd Liebeskrach und Liebeskummer.

Ich war mit 35 anderen Mädchen in einer grossen Kabine, mit vielen Rohren an der Decke - unter dem Wasserspiegel - untergebracht. Die in den oberen Betten (bunks) schliefen, konnten die Rohre benutzen, um ein paar Kleider aufzuhängen.Von Privaträumlichkeit konnte man nicht reden, und außerdem wurde vieles geklaut.

Das Essen war sehr gut und auswahlsreich. Man konnte nach Speisekarten die Mahlzeiten bestellen. Das war für mich nach den kargen Nachkriegsjahren in Berlin, etwas sehr Erfreuliches. So nahm ich fast ein 'stone' auf der Reise zu.

Die sieben Wochen Schifffahrt vergingen mir sehr schnell. Keine lange Weile. Ich lernte Schach spielen, übte meine englische Grammatik mit einem deutschen Freund, fing an zu rauchen und nahm an allerhand Deckspielen teil. Nur einmal wurde es gefährlich, als bei einer hohen Windstärke Seile zum Weiterbewegen gespannt wurden. Seekrank wurde ich aber nicht.

Auf einmal legten wir in Fremantle an. Ich probierte meinen ersten 'milkshake' aus: ganz prima! Dann wanderte meine Gruppe in der Stadt etwas herum, bis wir zu einem 'bowling green' kamen. Was da die Menschen in ihren weißen Kostümen verfolgten, indem sie große Murmeln auf einem Rasen herumrollten, kam mir und meinen Freunden sehr lächerlich vor. Was ging da wohl vor sich?

Am 30. Oktober 1955 lief die Castel Felice in meiner neuen Heimatstadt an. Mein Bruder - damals ein junger Zwanziger - und seine Frau holten mich in ihrem Peugeot von Port Melbourne ab. Dann zeigten sie mir etwas von St. Kilda und anschließlich ging es nach East Bentleigh. Ihr farbenfrohes Haus in der Centre Road gefiel mir ganz gut, aber die Umgebung fand ich ziemlich schrecklich. Die lange, einsame Straße...keine Cafes, Restaurants, Theater, Kinos oder Turnhallen in der Nähe. Nur Reihen von gleichaussehenden Häusern und ein paar Kirchen. Ich vermisste das Großstadtleben Berlins sehr. Berlin war für mich wie die Innenstadt von Melbourne heute ist.

Bald hatte ich zwei Arbeitsstellen, die eine bei International Harvester, die andere in einem kleinem Restaurant in Toorak. Ich wollte sparen und so früh wie möglich wieder zurückkehren.

Mein Englisch war ziemlich gut, hatte ich doch schon 6 Jahre die Sprache erlernt. Die Schwierigkeit lag im Verstehen! Zuallererst hörte ich die Übertragung vom berühmten Pferderennen in Flemington. Ich verstand überhaupt nichts. Das war vielleicht nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass wir 5 Dramen von Shakespeare in der 11ten Klasse an der Berliner Goetheschule studiert hatten.

Warum blieb ich also in Melbourne? Da kann ich vielleicht drei Hauptgründe angeben: Ich lernte Australier kennen und heiratete auch einen. Ich lernte Melbourne und Viktoria und seine landschaftliche Vielseitigkeit kennen und lieben. Ich fing an, australische Kunst und Kultur nicht vom europäischen Standpunkt zu beurteilen, sondern ihre besonderen Eigenschaften zu schätzen. In der Kunstgalerie von Viktoria, zum Beispiel, suchte ich nicht mehr vergebens nach Tizians und Carracci sondern entdeckte die Heidelberger Schule und ihre Bedeutung. Ich blieb also.

Ellen Mitchell
22 December 2000


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