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Sammlung von Primärquellen
 

Deutsche Einwanderung in Australien - Materialien für Schüler/Studenten

1982 - „BRIGITTE“

In den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts gab es großes Interesse in Deutschland
für die Auswanderung nach Australien.

Auszüge aus einem Artikel im Magazin Brigitte
(Extracts from an article in Brigitte magazine)


Wir wollen nie zurück

Vor einem Jahr, in Grainau bei Garmisch-Partenkirchen: Eine Familie sitzt auf gepackten Koffern, voller Zuversicht. Die australische Botschaft hat das Visum geschickt, die Eintrittskarte zum fünften Kontinent, das Papier, auf das in Deutschland immer mehr Leute warten. Jetzt endlich ist die Chance da, der neue Anfang, die Möglichkeit, das ganz anders, viel besser, freier und fröhlicher zu gestalten.

Den Artemjevs ist es bis dahin nicht schlecht gegangen. Wladimir, Sohn russischer Emigranten, ist Reprograph, Facharbeiter im drucktechnischen Gewerbe. Susanne, seine Frau, war Arzthelferin, bis die Kinder kamen: zuerst Nina, die jetzt sieben wird, und später Sabine, drei Jahre alt. Sie lebten in einer Gegend, in der andere Leute Urlaub machen. Sie hatten ihre hübsche Wohnung, eine gemütliche Einrichtung, ihren Wagen, ihr Auskommen. Und sie hatten ihre Sehnsüchte wie Hunderttausende andere Familien auch: „Unser ganz großer Traum waren eigene vier Wände, mehr Raum vor allem für die Kinder. Aber immer, wenn wir uns zusammensetzten und rechneten, platzte dieser schöne Traum vom Haus wie eine Seifenblase.“

Es gefiel ihnen nicht mehr in Deutschland. Für Kinder, so sagte Susanne, als Brigitte sie im letzten Sommer in Bayern besuchte, für Kinder ist es hier unmöglich: „In ganz Garmisch gibt es zum Beispiel nicht einen öffentlichen Spielplatz. Hunde haben es hier wesentlich besser.“

Den Artemjevs wurde es immer klarer: Hier hielt sie nichts mehr. Sie wollten weg, möglichst nach Australien.

Der Kontinent am anderen Ende der Welt ist seit langem das Lieblingsziel deutscher Auswanderungswilliger. Allein im vergangenen Jahr stellten mehr als 33 000 Bundesbürger einen Antrag auf ein Dauervisum, fünfmal soviel wie noch 1979. Die Zahl derer, die bei der australischen Botschaft nach Berufschancen fragen, nach dem Lebensstandard, nach Klima und anderen Einzelheiten, diese Zahl geht jährlich in die Hunderttausende. Afghanistan (= russische Invasion im Jahre 1979 – Website-Redakteur), die Polen-Krise (= gefährliche Konfrontation zwischen der neuen Gewerkschaftsorganisation „Solidarität“ und der kommunistischen Regierung), Neutronen-Nachrichten (= Angst vor neuen Atomwaffen) und die Nachrüstungs-Debatte (= Angst vor neuer Kriegsgefahr in Europa) - das alles lässt die diffuse Sehnsucht nach einem sonnigen Plätzchen weit weg vom Schuss bei uns ständig größer werden.

Aber die Australier wollen keine Aussteiger und keine Träumer. Sie haben im letzten Jahr gerade 4000 Deutsche für immer ins Land gelassen; in diesem Jahr werden wohl 5000 Bundesbürger das begehrte Einreise-Visum bekommen. Gut ausgebildete Fachkräfte, hochspezialisierte Techniker, aber auch Sekretärinnen mit hervorragenden Englischkenntnissen haben gute Chancen. Noch bessere Aussichten hat, wer Startkapital mitbringt, wer Verwandte in Australien hat, wer gleich eine Existenz aufbauen kann, die drüben - wo es auch 6,2 Prozent Arbeitslose gibt – neue Arbeitsplätze schafft.

Die Artemjevs hatten von Anfang an gute Karten: Wladimir, der in Amerika zur Schule gegangen ist, spricht fließend Englisch. Seine Berufschancen, so hatte ihm schon ein Konsulatsbeamter beim Bewerbungsgespräch Mut gemacht, seien in Australien mindestens so gut wie in Deutschland. Wladimir hoffte, sich „in Australien eines Tages selbständig zu machen. Aber zunächst mal bin ich davon ausgegangen, dass dort der Stress am Arbeitsplatz nicht so schlimm wie bei uns sein würde.“

Als dann endlich der Brief mit dem „positiven Bescheid“ ankam (Susanne: „Ich habe ihn mit zitternden Händen geöffnet. Von dem Moment an hatte unser Leben wieder einen Sinn“), wurden Sparverträge gekündigt, die Möbel und das Auto verkauft, für 4700 Mark Flugtickets bestellt. Am 18. Juni 1981, als die Artemjevs schließlich nach einer 30-Stunden-Reise, übermüdet mitten in der Nacht zum erstenmal australischen Boden betraten, hatten sie immerhin noch fast 15 000 Mark in der Tasche.

Die ersten Tage an der australischen Westküste waren nicht leicht. Susanne erinnert sich: „lch hatte ständig das üble Gefühl, auf der anderen Seite der Erdkugel mit dem Kopf nach unten zu baumeln.“ Klima- und Zeitunterschied machten den Einwanderern mehr zu schaffen, als sie gedacht hatten. Manchmal kam Susanne Artemjev, inzwischen 30 Jahre alt, sich wie ein Kleinkind vor, musste mühsam in die neue Umgebung hineinwachsen, musste sich sozusagen tastend zurechtfinden.

In den ersten Wochen wohnt die Familie in einem Einwandererheim. Die Adresse hatte sie vom Raphaels-Werk bekommen, dem katholischen Hilfswerk für Auswanderer in der Bundesrepublik. Nina und Sabine freunden sich rasch mit den Kindern anderer Neuankömmlinge an, füttern Emus und Kängurus in einem Gehege hinter dem Heim, lernen spielend die ersten Brokken der fremden Sprache. Wladimir kauft Zeitungen, studiert Stellenangebote, klappert Firmen ab (= er besucht viele Firmen.). Nur Susanne schreibt in ihr Tagebuch: „Irgendwie fühle ich mich ganz mutlos.“

Aber dann geht es rasch bergauf. Wladimir findet, noch nicht einmal zwei Wochen nach der Landung in Perth, einen Job: drei Monate Probezeit, etwa 250 Dollar netto in der Woche. Er verdient bald mehr als in Deutschland.

Die Artemjevs ziehen aus dem Heim aus, mieten ein möbliertes Fünfzimmerhaus (für 55 Dollar pro Woche), ziehen bald sogar in ein noch größeres am grünen Stadtrand von Perth um, das 70 Dollar pro Woche kostet - ohne Möbel.

Wir hocken auf dem Fußboden und reden über Australien. Vieles ist anders, manches keineswegs besser als bei uns. Wladimir gibt zu, zunächst zögernd, später deutlich, dass der Stress am neuen Arbeitsplatz größer ist als in der alten Heimat. Er macht eine Erfahrung, die auch andere deutsche Einwanderer bestätigen: „Hier musst du härter arbeiten als zu Hause.“ Das soziale Netz ist wesentlich weitmaschiger als in der Bundesrepublik, der Urlaub erheblich kürzer. Dennoch: Die Australier, so meint Wladimir, arbeiten, um zu leben – und nicht etwa umgekehrt, wie die meisten Deutschen.

Auch Susanne hat Überraschungen und erste Enttäuschungen hinter sich: Die Kontakte zu den Nachbarn sind dünn, die Gartenzäune - anders als zum Beispiel in Nordamerika - ziemlich hoch: „Am Anfang halfen uns die Leute von nebenan beim Einzug. Danach haben wir sie kaum gesehen. Die Kinder spielen zusammen, aber wir Erwachsenen grüßen uns nur aus der Ferne über den hohen Zaun. Das hatte ich mir etwas anders vorgestellt.“

Susanne will ihre Isolation in Suburbia, wie alle Großstadt-Vororte genannt werden, nicht verallgemeinern. Sie weiß: „Wenn man sie braucht, wenn man sie anspricht, sind die Australier unheimlich freundlich, hilfsbereit, liebenswürdig.“ Mag sein, dass der Kontakt enger wird, wenn Susanne besser Englisch kann. Wladimir bringt es nicht fertig, mit ihr zu Hause in der Sprache des neuen Landes zu reden: „Das würde mir irgendwie fremd vorkommen“, sagt er.

Nina, die Siebenjährige, hat sich am schnellsten eingelebt. Sie geht seit letzten Sommer zur Schule, hat keine Probleme in ihrer Klasse. Das erste Zeugnis lobt ihre freundliche Aufgeschlossenheit. Susanne ist nicht zuletzt deshalb so sicher: „Die Kinder haben es hier besser. Wenn ein kleines Mädchen wie Nina, ohne zunächst ein Wort Englisch zu sprechen, in eine Schule geht, die fast den ganzen Tag dauert - von neun bis halb vier -, und wenn sie das vom ersten Tag an mit einer solchen Begeisterung tut, wenn man außerdem sieht, wie fröhlich alle Kinder jeden Tag aus der Schule kommen, dann ist für mich klar: Das System hier muss besser sein.“ Auch außerhalb der Schule sind die Kinder mit ihrer neuen Heimat zufrieden. Es gibt für sie nicht nur mehr Spielplätze, Susanne meint sogar, dass die Kinder neuerdings auf eine viel freiere Art spielen: „Ich sehe sie manchmal stundenlang nicht, sie toben, sie haben eine irre Phantasie entwickelt, sie sind überglücklich!“
...
Wladimir und Susanne fühlen sich wohl in diesem Land: „Wir können gar nicht mal genau sagen, woran das liegt. Wir wissen nur, dass wir hier bleiben wollen, dass wir unseren Schritt nicht bereuen.“ Spätestens in drei Jahren wollen sie auch auf dem Papier Australier werden. Sie können sich nicht vorstellen, dass sie - wie in früheren Jahren manchmal 20 Prozent aller deutschen Einwanderer - wieder aufgeben, zurück in die Bundesrepublik fliegen. Ob es je zur ersehnten Selbständigkeit kommt, ob Wladimir wirklich mal eine eigene Druckerei, vielleicht auch ein eigenes Restaurant oder ein Café besitzen wird - sie wissen es nicht, sie wollen es jetzt auch noch nicht wissen.

Tips für Auswanderer

Der Plan, nach Australien auszuwandern, will gründlich bedacht und vorbereitet sein. Wir haben für alle, die an näheren lnformationen zum Thema interessiert sind, einige nützliche Hinweise, Adressen und Buchtips zusammengestellt. Sie können diese kostenlosen Ratschläge per Postkarte beim Brigitte-Leserdienst, (Verlagsadresse), Stichwort „Auswanderer“, anfordern.

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Mit freundlicher Genehmigung des Verlags – aus Brigitte 14/1982, Seite 81 ff. © Redaktion BRIGITTE, Gruner + Jahr, 1982



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