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Deutschsprachige in Australien

Reinhold Philipp Johann Graf von Anrep-Elmpt.

Image: Titelseite des BuchesDer Graf (1834-1888) entstammte einem alten Adelsgeschlecht im baltischen Herzogtum Livland. Zwischen 1561 und 1918 gehörte Livland abwechselnd zu Polen, Litauen, Schweden und Russland. Trotzdem blieben in diesen Jahren immer die alten deutschen Rechte erhalten (deutsche Sprache, deutsche Schulen, deutsche Kirchen). 1918-1920 wurde das Herzogtum Livland unter den selbstständigen Republiken Lettland und Estland aufgeteilt. Der Graf war Rittmeister in der russischen Armee. Es ist nicht klar, wann er die Armee verlassen hat.
Von 1870 bis zu seinem Tod 1888 in Siam (Thailand) machte er ausgedehnte Weltreisen und war selten zu Hause in Riga (Reisen in: England, USA, Österreich, Indien, Japan, Südamerika, Afrika, Ägypten, Ceylon [Sri Lanka], Karibik, Hawaii, Sumatra, Java). Der Graf machte zwei Reisen nach Australien zwischen 1878 und 1883. Er hat aber nicht „den ganzen Welttheil“ gesehen, da er das Nordterritorium, Tasmanien und Westaustralien nie betrat. Am 2. September 1878 kam er in Sydney an und reiste zu Fuß, mit dem Pferd, mit der Postkutsche, mit dem Flussdampfer, mit dem Küstendampfer und mit dem Zug durch New South Wales, Queensland, Victoria und Südaustralien. Der Graf reiste quasi inkognito, als Reinhold Anrep, und erzählte niemandem, dass er ein Adeliger war. In Australien bezahlte er seine Reisekosten durch seine Arbeit als Klavier- und Orgelstimmer in Privathäusern und Kirchen. Er beschrieb alles, was er sah, in einem sehr detaillierten, fast militärischen Stil. Im Dezember 1879 begegnete er dem berüchtigten Bushranger (Straßenräuber) Ned Kelly in der Buschwildnis bei Beechworth im Norden von Victoria. Kelly und seine Bande vermieden zu der Zeit die Öffentlichkeit zwischen ihrem Raubüberfall am 10. Februar 1879 auf die Bank of New South Wales in Jerilderie und der letzten Schießerei mit der Polizei im Juni 1880 in Glenrowan.


Australien. Eine Reise durch den ganzen Welttheil. (3 Bände) Wilhelm Friedrich, Leipzig 1886.

Eine Begegnung mit Ned Kelly (1880)

Erst ritt ich über zahlreiche Brücken und Dämme der Sümpfe des Murray bis Wodonga, dem Terminus der Victoria-Bahn-Linie, die Melbourne bald ununterbrochen durch Dampf mit Sydney verbinden wird.

Die Wodonga-Bahn-Station liegt 537 Fuss über dem Meeresspiegel, 187 Meilen Bahn von Melbourne entfernt.

Der Ort ist klein auf hügeligem Buschterrain erbaut, hat nur eine lange Straße, liegt im County Bogong, im District Murray, am Wodonga-Creek einem Arm des Murray. Die Verbindung der Bahnstation mit Albury bewerkstelligen vice-versa stündlich Omnibusse und sogenannte Town-Busses (Stadtwagen). Er besitzt sechs Hotels, zwei Bankfilialen, vier Versicherungsfilialen, vier Kirchen, unter denen auch eine lutherische, zwel Mahlmühlen, ein paar Sägemühlen auf der Höhe, eine Brauerei, eine Public-Schule und eine von Privaten gehaltene, ein Zollamt, einige Häuser, in welchen die Handelstreibenden, Handwerker, Fruchthändler, Agenten, Auctionäre und Wucherer sich niedergelassen, einige hier und da zerstreut liegende Cottage und Hütten.

Der Ort natürlich, als der Terminus der Bahn, zeigte ein regeres Leben und Treiben, welches möglicher Weise, da es ein Grenzort, auch nachdem die Verbindung der Bahn mit der von New-South-Wales bewerkstelligt, ihm nicht vollständig genommen werden wird.

Nachdem ich mich im Imperial-Hotel mit einem Frühstück gekräftigt hatte, verließ ich den lang gestreckten Ort, in Sicht des rechts von mir liegenden zierlichen Bahnhofs, mich in dem lichten dürren Wald verlierend, der hin und wieder in den bergigen Strecken und den Schluchten der zahlreichen Creeks recht malerisch wild pittoresk, dichte hochschießende Gestrüpp- und Buschpartien entfaltet und der den gegenwärtigen Aufenthalt der Räuberbande des Ned-Kelly bildete.

Mein Weg, meist steigend, dann curvenreich, war oft recht steil und im Allgemeinen ein schlechter Buschpfad über Geröll und Wurzelgeflecht und trotz der verfallenen lüderlichen Farmen oder Niederlassungen mit ihren meist düsteren Hütten, die hier und da isolirt im Gebüsch zu sehen waren und die ohne Ausnahme leblos erschienen, war die Gegend eine höchst unheimlich-wilde, verödete zu nennen.

Gegen 12 Uhr kamen aus dem Gebüsch zwei Reiter auf mageren, jedoch kräftigen Pferden auf mich zugeritten, die mit dem Ruf: „Haloo old man“ mir anzuhalten winkten.

Der eine der Reiter war ein wohlaussehender breitschulteriger Gentleman mit kurzgehaltenem Bart, in regelrechtem Reiteranzuge des Landes, d.h. im wollenen, bunten Hemde bester Qualität, Beinkleider aus festem Stoff, die in vorzügliche hohe Stülpstiefel sich verliefen; eine kräftige Gurte aus Leder umfasste seine Taille und in derselben sah man ein paar gut gehaltene Revolver, sein Haupt deckte ein fester jedoch sichtbar verschiedenstem Wetter ausgesetzt gewesener Filzhut mit breitem Rande und in verschiedenartigste Falten geknillt; der Sattel deutete ebenfalls auf eine kernige Bewaffnung. Sein Begleiter war höher von Wuchs, nachlässiger gekleidet und mit hageren Gesichtszügen, in denen die deutlichen Spuren eines unruhigen Gewissens zu erkennen waren.

Im ersten Augenblick glaubte ich zwei „Troopers“ (Gendarmen), denen ich gewöhnlich im gleichen Anzuge hin und wieder im Busch begegnet war, zu sehen.

Ihr freundliches Aussehen, oder richtiger gesagt, der freundliche Ausdruck, mit welchem der erstbeschriebene mich anredete, entfernte jegliches Misstrauen, und ich hielt. Sie näherten sich und der mich Anredende stellte Fragen in militärisch kurzer Art und Weise darüber, von wo ich käme, wohin ich reite, wen ich auf dem Wege gesehen, was ich in Albury und Wodonga gehört und bemerkt hätte.

Nachdem ich den vielen Fragen Antwort gegeben und der erstbeschriebene, wie es schien, befriedigt über meine Aussagen, seinen Begleiter mit lächelndem Blick angesehen, sagte er heiter: „Well old man, come have some lunch!“ d.h. „Komm alter Mann einen Imbiss haben!“

Ich folgte ihnen in das Gebüsch, wo auf einer kleinen Fläche, umgeben von dichtem Gestrüpp, an einem Creek ein kleines Feuer brannte. Es wurde famoser „Whisky“ aus der Flasche, kaltes Salzfleisch bester Qualität, Brot mit Butter sogar und in Blechkannen Tee genossen. Wahrend dem Speisen wurden mir neue Fragen gestellt und das namentlich über die Gendarmerie, und was ich von den Gebrüdern Kelly gehört hatte.

Als ich gesättigt war, begleitete mich der erstbeschriebene bis zum Wege und als wir denselben erreichten, fragte er mich lächelnd: „You'll be frightened to see the Kellys in the bush, ha!“, d.h. „Ihr würdet erschrocken sein, die Kellys im Busch zu treffen, he!“

„Nein“ antwortete ich, „denn ich habe nichts Wertvolles für dieselben und außerdem ist es mir bewusst, dass diese Bande nur auf die Plünderung der Banken und auf die Tötung der Glieder der Polizei ihr Wesen beschränken und die Wanderer unbelästigt lassen.“

Hierauf antwortete er mir hastig: „Goddamn your, belive reight, the Kellys not so blod-thirsty, how some blody mob belive, I am Need Kelly self and I tell you, that I seek onley blody revenge for damned blody blodshed! Good being old man!“, d.h.: Gott verdamm! Ihr habt Recht, die Kellys sind nicht so blutdürstig als gewisses Volk es glauben will. Ich bin Ned Kelly selber und ich sage euch, dass ich nur blutige Rache such für blutiges Blutvergießen! und nun Gutbefinden mir wünschend, folgte er in den Busch seinem, schon zu Pferde sitzenden Bruder Dan Kelly, der das Feuer während der Zeit sorgsam ausgelöscht und jede Spur desselben vernichtet hatte.

Dass mir die Nachricht, den in der Gegend Gefürchteten an der Seite gehabt zu haben, sehr angenehm war, kann ich nicht sagen und unwillkürlich während meinem Weiter-Ritt schaute ich mich in alle Richtungen um, denn ein Mann, der es verstand, ganze Ortschaften mit nur gewöhnlich drei Begleitern zu belagern und Tage lang die Bewohner desselben in denselben gefangen zu halten, nachdem er die Polizei des Ortes geknebelt und die Telegraphen-Verbindungen zerstört, ist zu jeder Tat fähig, obgleich factisch die Bande den Ruf genießt, nur Banken und das meisterhaft zu plündern und die Glieder der Polizei zu morden, sonst die übrigen nur mit Drohungen und mit der Furcht zu quälen. Trotz der vereinigt wirkenden Polizei der Colonien New-South-Wales und Victoria, trotz des lichten Bestandes der Waldungen konnte man bis damals diese geringzählige Bande nicht bemeistern. Ihr Aufenthalt war im Gebirge der Back-Range, das ich überritt, das wild und klüftig und an Wasser reich war.

Während Monaten verbreitete sich die bestimmte Nachricht, dass sie in das Innere des Landes verschwunden, sogar die, dass sie längst nach Californien abgezogen wären. Sogar trafen Nachrichten aus Californien ein, die da bestätigten, dass der gefürchtete Irländer daselbst Farmer geworden und seine Mutter und seine Schwester, die Kate, die hier ihrer Tapferkeit wegen berühmt geworden und eigentlich die Ursache der Rache des Bruders gegen die Polizei war, zu sich kommen lasse. Da plötzlich fand wieder eine gelungene Knebelung der Beamten irgend einer Bank und die Entführung der Cassa durch die Bande statt die sofort nach der Tat, trotz Umzingelung und Durchstreifen der Gegend, wieder gleich wie verschollen war. Das Verschwinden derselben für längere Zeit wurde ihr dadurch ermöglicht, dass namentlich hier, auf der Strecke von Wodonga bis Beechworth, die Pächter und Ansiedler meist Irländer waren, die sie mit allem erforderlichen versorgten, oft beherbergten und die Nachricht verbreiteten, dass sie nicht mehr im Lande seien und die Bande von jeder Bewegung der Polizei benachrichtigten. Die Farmer und Ansiedler, die sie nicht unterstützen wollten, schwiegen in Folge der sie einschüchternden Drohungen.

Dieses unerwartete Abenteuer hatte mir eine gute Stunde Zeit gekostet und hätte leicht ungemütlicher als mit einem nichts weniger als schlechten „Lunch“ ausfallen können.

(divider)

Siehe dazu auch:
Lamping, Gerlinde & Heinrich Lamping. 1994. „Die Australienreisen von Reinhold Graf Anrep-Elmpt (1878-1883).“ In: Australia - Studies on the History of Discovery and Exploration. (Heft 65, Frankfurter Wirtschafts- und Sozialgeographische Schriften.) Institut für Wirtschafts- und Sozialgeographie der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt/Main.

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